Rechtsstaat gefährdet: Kommission richtet Empfehlung an Polen

Waage 300Die jüngsten Ereignisse in Polen, die insbesondere das Verfassungsgericht betreffen, haben die Europäische Kommission veranlasst, einen Dialog mit der polnischen Regierung aufzunehmen, damit die Rechtsstaatlichkeit in Polen uneingeschränkt gewahrt bleibt

Die EU-Kommission hat am Mittwoch, 27. Juli,  eine Empfehlung zur Rechtsstaatlichkeit an Polen gerichtet. Darin legt sie ihre Bedenken angesichts der Lage des Verfassungsgerichts in Polen dar und unterbreitet konkrete Empfehlungen, wie diese Bedenken ausgeräumt werden können. „Trotz des Dialogs, den wir mit der polnischen Regierung seit Jahresbeginn führen, wurden die wichtigsten Probleme, die die Rechtsstaatlichkeit in Polen gefährden, unserer Ansicht nach nicht gelöst“, sagte der Erste Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans in Brüssel. „Deshalb unterbreiten wir der polnischen Regierung jetzt konkrete Empfehlungen, wie diese Bedenken ausgeräumt werden können, so dass das polnische Verfassungsgericht seine Aufgabe der Rechtsprechung zur Verfassung wirksam ausüben kann.“ Die Kommission ist der Auffassung, dass die Rechtsstaatlichkeit in Polen systemisch gefährdet ist.

Dass das Verfassungsgericht an einer vollumfänglichen, wirksamen Normenkontrolle gehindert ist, beeinträchtigt seine Integrität und Stabilität und sein ordnungsgemäßes Funktionieren und damit eine der wichtigsten Garantien der Rechtsstaatlichkeit in Polen. In Ländern mit einer Verfassungsgerichtsbarkeit trägt diese entscheidend zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit bei.

Die Rechtsstaatlichkeit ist einer der gemeinsamen Werte, auf die sich die Europäische Union gründet. Sie ist in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union verankert. Nach den Verträgen ist die Europäische Kommission zusammen mit dem Europäischen Parlament und dem Rat dafür zuständig, die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit als eines Grundwerts der Union zu garantieren und für die Achtung des Rechts, der Werte und der Grundsätze der EU zu sorgen.

Die jüngsten Ereignisse in Polen, die insbesondere das Verfassungsgericht betreffen, haben die Europäische Kommission veranlasst, einen Dialog mit der polnischen Regierung aufzunehmen, damit die Rechtsstaatlichkeit in Polen uneingeschränkt gewahrt bleibt. Nach Auffassung der Kommission muss das polnische Verfassungsgericht in der Lage sein, seiner verfassungsmäßigen Aufgabe uneingeschränkt nachzukommen und eine vollumfängliche wirksame Normenkontrolle zu gewährleisten.

Dies ist ein Auszug aus den an Polen gerichteten Empfehlungen:

  • Einhaltung und vollständige Umsetzung der Urteile des Verfassungsgerichts vom 3. und 9. Dezember 2015, was bedeutet, dass die drei Richter, die im Oktober 2015 von der vorherigen Volksvertretung rechtmäßig benannt wurden, ihr Amt als Richter des Verfassungsgerichts antreten müssen und die drei Richter, die von der neuen Volksvertretung ohne gültige Rechtsgrundlage benannt wurden, ihr Amt nicht ohne rechtskräftige Wahl antreten dürfen;
  • Veröffentlichung und vollständige Umsetzung des Urteils des Verfassungsgerichts vom 9. März 2016 sowie seiner darauf folgenden Urteile und Gewähr, dass künftige Urteile systematisch veröffentlicht werden und weder die Exekutive noch die Legislative über ihre Veröffentlichung entscheiden kann;
  • Gewähr, dass das Verfassungsgericht betreffende Rechtsreformen den Urteilen des Verfassungsgerichts, darunter den Urteilen vom 3. und 9. Dezember 2015 sowie vom 9. März 2016, nicht zuwiderlaufen und der Stellungnahme der Venedig-Kommission umfassend Rechnung tragen; Gewähr, dass das Verfassungsgericht in seiner Funktion als Hüter der Verfassung weder durch einzelne noch durch das Zusammenwirken mehrerer Bestimmungen geschwächt wird;
  • Gewähr, dass das Verfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des am 22. Juli 2016 verabschiedeten Gesetzes über das Verfassungsgericht prüfen kann, bevor es in Kraft tritt, und dass das diesbezügliche Urteil des Verfassungsgerichts veröffentlicht und vollständig umgesetzt wird.

Diesem neuen Schritt des im Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips vorgesehenen Verfahrens ist ein intensiver, seit dem 13. Januar andauernder Dialog mit der polnischen Regierung vorausgegangen. Nachdem die Kommission am 1. Juni eine Stellungnahme zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in Polen abgegeben hatte, hatte das polnische Parlament am 22. Juli ein neues Verfassungsgerichtsgesetz verabschiedet.

Die Kommission hat die Gesamtlage auch unter Berücksichtigung des neuen Gesetzes bewertet und kommt zu dem Ergebnis, dass zwar einige ihrer Bedenken durch das Gesetz ausgeräumt wurden, insgesamt aber dennoch weiterhin in wichtigen Punkten Zweifel an rechtsstaatlichen Verhältnissen in Polen bestehen bleiben. Deshalb unterbreitet sie der polnischen Regierung konkrete Empfehlungen, wie diese Bedenken ausgeräumt werden können.

Die Kommission empfiehlt den polnischen Behörden, dringend geeignete Maßnahmen zu treffen, um dieser systematischen Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit zu begegnen, und fordert die polnische Regierung auf, sie innerhalb von drei Monaten von den hierzu unternommenen Schritten zu unterrichten.

Die Kommission bleibt gewillt, den konstruktiven Dialog mit der polnischen Regierung fortzusetzen. Kommt der Mitgliedstaat der Empfehlung innerhalb der gesetzten Frist nicht zufriedenstellend nach, kann das Verfahren nach Artikel 7 EUV eingeleitet werden.

Der – am 11. März 2014 eingeführte – Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips umfasst drei Stufen. Das gesamte Verfahren basiert auf einem kontinuierlichen Dialog zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat. Die Kommission informiert das Europäische Parlament und den Rat eingehend und in regelmäßigen Abständen.

  • Sachstandsanalyse der Kommission: Die Kommission holt alle relevanten Informationen ein und prüft sie daraufhin, ob es klare Anzeichen für eine systemische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit gibt. Gelangt die Kommission auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass in der Tat eine systembedingte Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, tritt sie mit dem betroffenen Mitgliedstaat in einen Dialog, indem sie eine „Stellungnahme zur Rechtsstaatlichkeit“ an den Mitgliedstaat richtet, in der sie ihre Bedenken begründet. Diese Stellungnahme dient als Warnung an den Mitgliedstaat und gibt diesem die Möglichkeit zu reagieren.
  • Empfehlung der Kommission: In der zweiten Verfahrensphase kann die Kommission eine „Empfehlung zur Rechtsstaatlichkeit“ an den Mitgliedstaat richten, sofern die Angelegenheit in der Zwischenzeit nicht zufriedenstellend geregelt werden konnte. In diesem Fall setzt die Kommission dem Mitgliedstaat eine Frist, innerhalb deren er die beanstandeten Probleme zu beheben hat, und der Mitgliedstaat informiert die Kommission über die hierzu von ihm unternommenen Schritte. Die Kommission veröffentlicht ihre Empfehlung.
  • Folgemaßnahmen zur Empfehlung der Kommission: Als dritten Schritt verfolgt die Kommission die Maßnahmen, die der Mitgliedstaat auf die Empfehlung hin getroffen hat. Kommt der Mitgliedstaat der Empfehlung innerhalb der gesetzten Frist nicht zufriedenstellend nach, kann das Verfahren nach Artikel 7 EUV eingeleitet werden. Voraussetzung hierfür ist ein begründeter Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Kommission.

Weitere Informationen: