EU-Parlament verleiht Sacharow-Preis 2016

Die jesidischen Menschenrechtsaktivistinnen Nadia Murad und Lamiya Aji Bashar erhalten während einer feierlichen Sitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg den Sacharow-Preis. Murad und Aji Bashar wurden vom "Islamischen Staat" als Sexsklavinnen missbraucht, doch konnten sie aus der Gefangenschaft entkommen. Sie sind das Sprachrohr der Frauen, die Opfer der sexuellen Versklavung durch den IS geworden sind, und setzen sich für die Rechte der Gemeinschaft der Jesiden ein.

Nadia Murad Basee Taha und Lamiya Aji Bashar stammen aus dem Dorf Kotscho im irakischen Bezirk Sindschar. Am 3. August 2014 hatte die Terrormiliz IS alle männlichen Bewohner des Dorfes massakriert. Anschließend wurden die Frauen und Kinder des Ortes versklavt. Sämtliche jungen Frauen, darunter auch Aji Bashar, Murad und deren Schwestern, wurden verschleppt, wiederholt verkauft und als Sexsklavinnen ausgebeutet und missbraucht. Nadia Murad gelang im November 2014 die Flucht. Lamiya Aji Bashar konnte im April 2016 ihren Peinigern entkommen.

Im November 2014 gelang Nadia Murad mit der Hilfe einer Nachbarfamilie die Flucht, die sie aus dem vom IS kontrollierten Gebiet herausschmuggeln konnte. Sie gelangte anschließend in ein Flüchtlingslager im Norden des Irak und von dort weiter nach Deutschland. Ein Jahr später sprach Nadia Murad im Dezember 2015 auf der ersten Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zum Thema des Menschenhandels und hielt eine bewegende Rede über ihre Leidenszeit. Im September 2016 wurde sie zur ersten Sonderbotschafterin des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNDOC) für die Würde der Überlebenden des Menschenhandels ernannt und beteiligt sich seitdem an globalen und lokalen Initiativen, mit denen das Bewusstsein für das Schicksal der zahllosen Opfer des Menschenhandels geschärft werden soll.

Lamiya Aji Bashar unternahm mehrere Fluchtversuche, bevor sie schließlich im April mit der Hilfe ihrer Familie, die lokale Schmuggler bestochen hatte, ihren Peinigern entkommen konnte. Auf ihrer Flucht aus dem Kurdengebiet in Richtung des von den irakischen Regierungstruppen kontrollierten Gebiets wurde sie von IS-Kämpfern verfolgt. Dabei wurden zwei Personen, die mit ihr flüchteten von einer Tretmine zerrissen, und sie wurde dabei verletzt und ist danach nahezu völlig erblindet. Dennoch konnte sie ihre Verfolger abschütteln und wurde schließlich zur medizinischen Behandlung nach Deutschland gebracht, wo sie ihre überlebenden Geschwister wieder in die Arme schließen konnte. Seit ihrer Genesung engagiert sich Lamiya Aji Bashar in Aufklärungskampagnen, um auf das Schicksal der Gemeinschaft der Jesiden hinzuweisen, und unterstützt Frauen und Kinder, die Opfer der Versklavung und der Gräueltaten des IS geworden sind.

Durch die Ehrung der beiden Menschenrechtsaktivistinnen, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, “zeigen wir, dass deren Kampf nicht vergeblich war und dass wir bereit sind, uns aktiv zu engagieren, um diese mutigen Frauen zu unterstützen bei dem Kampf gegen die Not und vor allen Dingen gegen die Brutalität und den Terror des Islamischen Staates, denen immer noch so viele Menschen ausgesetzt sind." "Nadia Murad und Lamiya Aji Bashar konnten fliehen. Sie konnten nach Europa entkommen und haben in unserer Mitte Schutz gefunden", fügte er hinzu.

Hintergrund: Der Sacharow-Preis
Das Europäische Parlament vergibt seit 1988 den Sacharow-Preis. Mit dem Preis werden jedes Jahr Menschen oder Organisationen ausgezeichnet, die sich für Menschenrechte und Grundfreiheiten einsetzen. Der Menschenrechtspreis ist mit einem Preisgeld von 50 000 Euro dotiert. Kandidaten für den Sacharow-Preis können von Fraktionen oder einer Gruppe von mindestens 40 EU-Abgeordneten vorgeschlagen werden. Der Außenausschuss, unter dem Vorsitz des Ausschussvorsitzenden Elmar Brok (EVP) aus Deutschland, und der Entwicklungsausschuss, unter dem Vorsitz der Ausschussvorsitzenden Linda McAvan (S&D) aus dem Vereinigten Königreich, wählen danach drei Finalisten aus. Die Entscheidung über den oder die Preisträger/in liegt schließlich bei der Konferenz der Präsidenten des Europäischen Parlaments, die sich aus dem Parlamentspräsidenten und den Fraktionsvorsitzenden zusammensetzt.